Carnivore Diet: Die Gefahr des TikTok-Trends

Rohes Fleisch, keine Beilagen, maximale “Männlichkeit” – die Carnivore Diet erobert TikTok und verspricht jungen Männern mehr Testosteron und Stärke. Doch Experten warnen eindringlich vor diesem gefährlichen Trend, der toxische Männlichkeitsideale befeuert.

Marek Steinbach

von Marek Steinbach

Marek ist der GenZ-Redakteur bei Frinton. Die Zukunft "spürt" er wie kein anderer. Er schreibt über gesellschaftliche Veränderungen, Umwelt, Lifestyle-Themen oder auch Religion.

02. Oktober 2025 5 Minuten

Leicht angebraten, komplett roh oder mit einem natürlich rohen Ei getoppt: Die “Carnivore Diet” kursiert immer wieder auf Social Media und zeigt vor allem eines – viel Fleisch. Gerade junge Männer finden sich in den Kommentaren von Influencern wie Paul Saladino alias “Dr. Carnivore” oder “Liver King” und behandeln sie wie Gottheiten. “Ich lerne jeden Tag etwas von dir! Ohne dich kann ich nicht leben”, schreibt ein User unter Saladinos TikTok.

Der TikTok-Hype und seine Protagonisten

Allein unter dem Hashtag #carnivorediet finden sich auf TikTok über 176.000 Beiträge. Die Carnivore-Diät entwickelte sich im Laufe der Jahre zu einer richtigen Community mit eigenen Stars und Influencern. Diese zeigen ihren Followern, wie man “richtig” Fleisch und Eier einkauft und propagieren, dass man mit einer tierisch basierten Ernährung Krankheiten “bekämpfen” kann.
Die Carnivore-Diät ist eine besonders strikte Variante der ketogenen Ernährung, bei der ausschließlich tierische Produkte – hauptsächlich Fleisch, Salz und Wasser – konsumiert werden. Anhänger dieser extremen Ernährungsform behaupten, sie führe zu Gewichtsverlust, erhöhten Testosteronwerten und gesteigerter Energie.

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Wie gefährlich ist rotes und rohes Fleisch wirklich?

Rotes rohes Fleisch ist ein großer Bestandteil der Diät.
Rotes rohes Fleisch ist ein großer Bestandteil der Diät.

 

Doch die Wissenschaft zeichnet ein anderes Bild. Studien zeigen eindeutig: Männer, die viel Fleisch essen, haben nicht nur niedrigere Testosteronwerte, sondern auch weniger Spermien. Dieser Befund steht in direktem Widerspruch zu den Versprechen der Carnivore-Influencer.
Mehr Nahrungsfett zu sich zu nehmen kann zwar die Testosteronspiegel erhöhen – jedoch nicht so signifikant, wie viele Anhänger fettreicher Ernährungsformen glauben machen wollen. Eine Studie des National Cancer Institute mit 43 Männern zwischen 19 und 56 Jahren zeigte: Eine Ernährung mit 41 Prozent Fettanteil führte zu nur 13 Prozent höheren Testosteronwerten im Vergleich zu einer Ernährung mit 19 Prozent Fettanteil.
Diese 13-prozentige Erhöhung reicht bei weitem nicht aus, um signifikante Veränderungen bei Fettabbau, Muskelaufbau oder allgemeiner Gesundheit hervorzurufen. Zum Vergleich: Ein Training mit Gewichten kann die Testosteronspiegel nach dem Training um bis zu 15 Prozent steigern – ohne die gesundheitlichen Risiken einer extremen Fleischdiät.

Die Gesundheitsrisiken sind beträchtlich

Über die Risiken eines übermäßigen Fleischkonsums klären die entsprechenden Influencer natürlich nicht auf.
Über die Risiken eines übermäßigen Fleischkonsums klären die entsprechenden Influencer natürlich nicht auf.

Die potentiellen Nachteile der Carnivore-Diät sind schwerwiegend:
Erhöhtes Risiko für Herzkrankheiten: Der hohe Anteil an gesättigten Fettsäuren kann zu erhöhten LDL-Cholesterinwerten führen
Nährstoffdefizite: Durch den Verzicht auf pflanzliche Lebensmittel werden signifikant weniger Vitamin C und Ballaststoffe aufgenommen
Krebsrisiko: Rotes Fleisch gilt als Risikofaktor für bestimmte Krebsarten wie Darmkrebs
Herz-Kreislauf-Probleme: Eine zu hohe Salzzufuhr ist mit Bluthochdruck assoziiert und kann zu Herzinfarkt und Schlaganfall führen

Welche Rolle spielt Männlichkeit als Verkaufsargument?

Besonders problematisch sind die stereotypisch aufgeladenen Ansichten der Carnivore-Community. Sie ist Teil der "Mannosphäre", der Social-Media-Bubble, in der sich gerade viele Jungen und junge Männer radikalisieren. Rassismus, sowie Frauenfeindlichkeit werden dabei als "Werkzeuge der Männlichkeit" entdeckt. Die Männer versuchen über ungesunde Verhaltensweisen ihr "Mannsein" zu verstärken. Die Carnivore-Diät reproduziert ebenso ein überholtes Männlichkeitsideal, das körperliche Härte, Fleischkonsum und Disziplin als Zeichen von Stärke stilisiert, während Fürsorge für den eigenen Körper, Achtsamkeit oder ausgewogene Ernährung als “unmännlich”, manchmal sogar als "weiblich" abgewertet werden. Dabei gilt das "weibliche" als schwach. Der Fleischkonsum wird dabei oft mit dem inkorrekten und veralteten Rollenbild des Mannes als Jäger verbunden. Mit der Realität hat das leider nur sehr wenig zu tun. Frauen haben auch schon immer in gleicher Weise gejagt, das haben Forscher in Peru und anderen Orten der Welt anhand Archäologischer Befunde herausgefunden.
Wissenschaftlerin Marlana Malerich beschreibt in einem Beitrag von Nutrition Insight, dass Essgewohnheiten historisch tief in patriarchalen Strukturen verwurzelt sind: Fleisch stehe dabei symbolisch für Macht und Männlichkeit, während pflanzliche Ernährung eher Frauen zugeschrieben wird.
Diese Haltung kann Männer davon abhalten, Warnzeichen ihres Körpers ernst zu nehmen, etwa Verdauungsprobleme, Erschöpfung oder langfristige Risiken wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Damit wird Ernährung zum Ausdruck toxischer Männlichkeitsnormen, anstatt ein Werkzeug für ganzheitliches Wohlbefinden zu sein.

Prominente Rückzieher entlarven den Mythos

Besonders entlarvend war es, als sich ausgerechnet der als “Dr. Carnivore” bekannte Paul Saladino Ende 2023 unerwartet von seinem ausschließlichen Fleisch-Lifestyle verabschiedete, nachdem seine Testosteronwerte drastisch gesunken waren. Trotz dieser persönlichen Erfahrung setzt der selbsternannte Ernährungsexperte auf TikTok weiterhin darauf, die Carnivore-Philosophie zu propagieren und zu verteidigen.

Was sagen Ernährungsexperten?

Ernährungsexpertin Kielkowski warnt vor subjektiven Eindrücken, die Influencer-Videos suggerieren können. “Es gibt Millionen von Ernährungs-Hypes, die alle als wissenschaftlich gesichert dargestellt werden – damit bedienen sie sich der großen Verunsicherung”, erklärt sie WATSON. Am Ende sei es jedoch so, dass es in der Ernährung für solche Aussagen nicht wirklich wissenschaftliche, kausale Beweise geben kann.

 

Der Fleischkonsum wird mit dem veralteten Rollenbild des Mannes als Jäger verknüpft, obwohl seit Beginn der Menschheit Frauen auch gejagt haben.
Der Fleischkonsum wird mit dem veralteten Rollenbild des Mannes als Jäger verknüpft, obwohl seit Beginn der Menschheit Frauen auch gejagt haben.

Redaktionsfazit: Gefährlicher Trend ohne wissenschaftliche Basis

Die Carnivore-Diät ist nicht mehr als eine extremere Version jeder anderen kohlenhydratarmen Diät. Wie die meisten Modediäten ist sie durch Medienpräsenz ihrer Fürsprecher und nicht durch wissenschaftliche Untersuchungen bekannt geworden.
Für Männer, die ihre Gesundheit ernst nehmen, gibt es weit bessere Alternativen: Eine ausgewogene Ernährung mit hochwertigen Proteinen, gesunden Fetten und komplexen Kohlenhydraten, kombiniert mit regelmäßigem Training, führt zu nachhaltigen Erfolgen – ohne die erheblichen Gesundheitsrisiken einer extremen Fleischdiät.
Der Trend zeigt vor allem eines: Wie anfällig junge Männer für Botschaften sind, die ihre Unsicherheiten über Männlichkeit ausnutzen. Echte Stärke zeigt sich nicht darin, gefährliche Ernährungstrends zu befolgen, sondern in der Fähigkeit, wissenschaftlich fundierte Entscheidungen für die eigene Gesundheit zu treffen.

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